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„Sitt.“

Das war vor einigen Jahren der verzweifelte Versuch der Dudenredaktion und des Getränkeherstellers „Lipton“ auf einen Mangel zu reagieren. Denn der deutschen Sprache mangelte es an einem Wort. Während alle Menschen dem wohligen Gefühl nicht hungrig zu sein, durch das Wort „satt“ Ausdruck verleihen können, fehlt es am Gegenteil von Durstig. „Sitt“ sein hat sich nicht durchgesetzt. Vielleicht auch deshalb, weil sich das Gefühl für das Durstig-Sein verflüchtigt, sobald der Durst gestillt ist. Gerade so, als sei es das Selbstverständlichste der Welt.

Ich vermute allerdings genau das Gegenteil: Vielleicht gehört es zum Grundzustand des Menschen, Durst zu haben. So dass es nachgerade unvorstellbar ist, nicht durstig zu sein. Wer Durst verspürt, weiß, dass er lebt. Er spürt auch den Mangel. Und weiß auch, dass höchste Eile geboten ist. Der Durst ist auf diese Weise die Triebfeder des Handelns. (Als Wissensdurst ja auch im Sinne geistigen Antriebs bekannt.) Je stärker der Durst aber, desto größer die Verzweiflung, die Sehnsucht nach Abhilfe. In diese Situation hinein erklingt die Jahreslosung 2018:

Gott spricht: Ich will dem Durstigen geben von der Quelle des lebendigen Wassers umsonst.(Offb 21,6)

„lebendigen Wassers…“

Vor einiger Zeit lernte ich, dass es auch „totes Wasser“ gibt, das war als der Heizungsmonteur das Wasser ablassen musste. Totes Wasser trägt kein Leben (mehr) in sich und kann somit auch nicht zum Erhalt desselben beitragen. (Pflanzen gehen ein…) Ebenso wie destilliertes Wasser (H2O) kein Trinkwasser ist. Lebendig wird das Wasser also nicht durch übertriebene Reinheit oder extreme Abgeschlossenheit, dass dadurch, dass es dem Leben Raum gibt –Sauerstoffen, Nährstoffen, Schwebstoffen.

Selbst wenn im Original vom „Aqauvit“ die Rede ist, dem Wasser des Lebens, verdeutlicht das nur den engen Zusammenhang zwischen sinnlicher Wahrnehmung und tatsächlicher Wirkung.

Wenn wir lebendiges Wasser vor Augen haben, dann ist es in Bewegung. Es plätschert, es wirft Licht zurück, es tanzt über Stock und Stein ins Tal und bindet so die Luft zum Atmen und weckt die Lust am Leben. („Weißt du wieviel Fischlein spielen in der hellen Wasserflut…“) Als Rhein-Anlieger wissen wir, dass das Wasser auf seinem Weg durch die Welt recht bald an Unbeschwertheit und Leichtigkeit einbüßt, dass es durch Sedimente, Gesteine und Schadstoffe auch trüb und braun wird, und wer einmal Hochwasser im Keller hatte, weiß, wie übel das ist.

„…von der Quelle…“

Gerade deshalb legt die Losung Wert auf das Ursprüngliche: Quellwasser. Damit hat die Bibel etwas mit den Bierbrauern und Mineralwasserfirmen gemeinsam. Das Unberührte des Wassers steht für Gesundheit. Es steht aber noch viel mehr für das Staunen über den stetigen Nachschub, auch wenn meist im Dunkeln bleibt, woher das Wasser eigentlich stammt. („Seit der Eiszeit unberührt“ oder „aus dem Herzen der Natur“) Wer also zu den Quellen vordringt, sucht Anteil am Eigentlichen. Es ist wie die Suche nach Gott, dem unbewegten Beweger, Grund und Ursache des Lebens.

Die biblischen Texte sprechen die Sprache der Wüsten. Sie wissen, was Dürre ist. Sie wissen, welche Macht, das Wasser besitzt. Dass es Leben erst möglich macht (Garten Eden), aber sie wissen auch von der zerstörerischen Kraft (Sintflut). Und sie kennen den Streit um das Wasser. Wer an der Quelle sitzt, hat keinen Mangel. Und wer die Quellen besitzt, hat Macht über die übrigen Durstigen.

 „… dem Durstigen…“

Durstige gibt es. Weiß Gott, damals wie heute. Bei uns. Aber noch viel mehr in der Welt. Wo Menschen sitzen, die Brackwasser aus Pfützen trinken, Kloaken, die krankmachen. Deren Leitungswasser sie schleichend vergiftet. Deren Brunnen versiegen, weil andere ihnen das Wasser abgraben. Und wenn man es spürt, fehlen oft Kraft und Mittel, etwas zu verändern.

Die Ratschläge der Gesundheitsmanager unserer Breiten lauten, man solle mindestens 2-3 Liter jeden Tag trinken. (Zum Vergleich: 30-40 Liter rauschen bei uns jeden Tag allein durch die Toilettenspülung.) Insofern glaube ich kaum, dass wir ernsthaft wissen, was Durst ist. Wenn die Zunge am Gaumen klebt. Wenn Worte versiegen, Haut vertrocknet, der Gang unsicher wird. Durstig sein bedeutet, sich in höchster Not zu befinden. In Lebensgefahr dem Tod ins Auge zu blicken.

 „Ich will geben…“

Immerhin: Da meint es jemand gut mit uns. Geben wollen heißt, sich rühren zu lassen von der Not des Nächsten und mithin über sich und den eigene Bedarf hinauszudenken. Ich erinnere mich, dass meine Oma im Keller Literweise Wasser hortete. Sie erwartete, dass die Wasserversorgung zusammenbrechen würde, erst durch Kriege, aber auch durch Konzerne. Ich habe sie belächelt. Und konnte mir doch ausmalen, dass eine sichere Trinkwasserversorgung allzumal aus der Leitung tatsächlich nicht selbstverständlich ist. Das Konfliktpotential versiegenden Wassers ist eminent, auch wenn wir die Augen davor verschließen.

 „…umsonst.“

Was für ein Geschenk! Und das in einer Zeit, in der Wasser bares Geld verspricht. Vor einigen Jahren war es in klammen Kommunen Mode, die Wassernetze zu privatisieren – um dann mit Erstaunen festzustellen, dass Investoren auf Renditen bedacht sind und nicht so sehr der Grundversorgung verpflichtet. Natürlich: Trinkwasser hat seinen Preis. (Und der erhöht sich mit den Belastungen, die wir dem Wasser zumuten – z.B. Nitrate.) Wasser ist ein Menschenrecht. Und dieses Menschenrecht wird mit Füßen getreten, wo Unternehmen wie Nestlè für Spottpreise (200$) die Wasserrechte erwerben, um dann Millionen an Wasser in Plastikflaschen zu verdienen.

***

Nun aber kann es bei einer Jahreslosung und einer aus dem Buch der Offenbarung insbesondere wohl nicht darum gehen, sie allein zu politisieren. Sondern sie will, aus der Feder eines glaubenskräftigen Visionärs zu Worten Gottes stilisiert, theologisch verstanden sein.

In der Offenbarung und an anderen Stellen: Das Wasser des Lebens dient der Verwirklichung der Gottesbeziehung. Und steht damit als Gnadengeschenk im Gegensatz zu den (verzweifelten) Versuchen der Selbsterhaltung der Menschen.

(Markus Krieger, Pfr.)